Der Ghul im Frisiersalon

 

Das Wochenende steht vor der Tür. Ich fühle mich großartig und bin guter Dinge. Nur meine Haare bedürfen wieder einmal professioneller Pflege. Wie schnell doch wieder vier Wochen vergangen sind. Ich fahre also zum Frisiersalon meines Vertrauens. Das sind nur knappe zehn Minuten mit dem Auto. Die Fahrt dorthin genieße ich bei strahlendem Sonnenschein und frühsommerlichen Temperaturen. Fetzige Musik dröhnt aus den Boxen meines Autoradios. Gut gelaunt trommle ich im Takt mit den Fingern auf das Lenkrad.

Am Ziel angekommen, finde ich einen Parkplatz direkt vor der Tür des Salons. Heute muss mein Glückstag sein. Sonst muss ich oft einige Minuten laufen, was mich bei dem heutigen Wetter jedoch auch nicht weiter gestört hätte.

Beim Betreten des Frisiersalons werde ich von der Dame hinter dem Empfangstresen freundlich begrüßt und gebeten, noch einen Augenblick in der Warteecke mit den Zeitschriften Platz zu nehmen. Im Vorraum, mit Empfangsbereich, Warteecke und zwei Frisierplätzen, bin ich der einzige Kunde. Der Salon hat allerdings noch zwei Hinterzimmer, aus denen leises Stimmgewirr und das schnippelnde Geräusch von Scheren zu mir dringt.

Ich muss also warten und das, obwohl ich einen Termin habe. Das fängt ja gut an, denke ich. Es ist mein erster Besuch bei einer neuen Friseurin, nachdem Claudia, die mich jahrelang bedient hat, in Rente gegangen ist.

Aber egal. Aufregen bringt nichts und ich habe nicht vor, mir meine gute Laune dadurch vermiesen zu lassen. Ich setze mich auf den mir zugewiesenen Warteplatz und blättere ein wenig in einem der Automagazine.

***

Die Minuten vergehen. Ich ertappe mich dabei, wie ich mit wachsender Ungeduld immer wieder auf die große Uhr an der Wand hinter der Kasse blicke. Warum mache ich eigentlich einen Termin, wenn ich dann doch warten muss? Jetzt ist es passiert, ich beginne mich nun doch ein wenig zu ärgern. Das wollte ich doch vermeiden. Ich schaue aus dem großen Fenster auf die sonnenbeschienene und mäßig befahrene Hauptverkehrsstraße. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich draußen noch ein wenig die Sonne genießen können. Hätte, hätte … Habe ich aber nicht.

Ich wende mich wieder meinem Magazin zu, obwohl es eher ein zielloses Herumblättern ist. Wirklich erfassen kann ich den Inhalt der bunt bebilderten Seiten nicht. Erneut schaue ich zur Uhr.

***

Wieder einige Minuten später. Ich habe das Automagazin zurück auf das kleine Tischchen vor mir gelegt. Bei Claudia musste ich früher nie warten. Da kam ich immer sofort dran und konnte mich, während sie ihre Arbeit an meinem Haar verrichtete, gut mit ihr unterhalten. Ob ich mit der neuen Friseurin auch so warm werde wie mit Claudia? Ich tue mich schwer mit Veränderungen und brauche immer eine gewisse Zeit, vermutlich drei oder vier Sitzungen, bis ich mit neuen Menschen klarkomme. Oder, wie man so schön sagt, bis ich auftaue.

Wie es Claudia wohl geht? Bei meinem letzten Termin vor vier Wochen hat sie mir begeistert erzählt, dass sie in Zukunft viel reisen würde. Sie will noch etwas von der Welt sehen, solange sie noch fit ist, hat sie gesagt. Ich gönne und ich wünsche es ihr.

Erneut schaue ich auf die Uhr. Jetzt warte ich schon seit fünfzehn Minuten. Langsam ärgere ich mich nun doch.

***

Als ich den Grund für die Verspätung erkenne, bekomme ich schlagartig ein schlechtes Gewissen. Eine sehr alte und gebrechlich wirkende Frau wird aus dem hinteren Raum zu mir in den Wartebereich geführt. Während sie mir immer näher kommt, stelle ich fest, dass sie weiße Augen hat, die leer in den Raum starren. Auf den zweiten Blick wirkt sie gar nicht mehr so alt, wie es im ersten Moment den Anschein hatte. Ich schätze sie auf Ende sechzig. Jetzt erkenne ich auch den langen, dünnen Blindenstock in ihrer rechten Hand.

Die weißen Augen und das faltige Gesicht verleihen ihr ein ehrfurchtgebietendes, aber auch unheimliches Aussehen. Das dünne weiße Haar gestattet einen Blick auf die fahle Kopfhaut und vervollständigt dieses Bild. Was will die denn beim Friseur? Ich meine, großartig viel frisieren lässt sich da wirklich nichts mehr und was hat sie von einem Friseurbesuch, wenn sie sich das Ergebnis nicht einmal im Spiegel anseh…

Scheiße! In diesem Moment wird mir die Grausamkeit meiner Gedanken bewusst. Erneut ereilt mich das schlechte Gewissen. Die arme Frau kann doch schließlich nichts dafür. In Gedanken entschuldige ich mich bei der alten Dame.

Im Großen und Ganzen macht sie, nicht zuletzt durch den offensichtlich gerade abgeschlossenen Friseurbesuch, einen ordentlichen und gepflegten Eindruck. Unter einem dunkelgrauen Wollpullover trägt sie eine weiße Bluse, deren zugeknöpfter Kragen oben herausschaut.

Man führt sie zu dem freien Platz auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen Tischchens, an dem ich sitze und lässt sie sich setzen.

„Darf ich Ihnen schon mal das Taxi rufen, Frau Adenberg?“, fragt eine Friseurin zuvorkommend und mit krächzender Stimme, die ich sofort erkenne. Es ist der Salon-Troll. Ich schaue sie an: kurze und feuerrot gefärbte, wilde Haare, eine große Brille, braun gebrannt wie ein Grillhähnchen und ein breites, unnatürlich wirkendes Dauergrinsen im Gesicht. Der Spitzname ‚Salon-Troll‘ ist irgendwie selbsterklärend und hat sich schnell im Kreise meiner Bekannten, die ebenfalls in diesem Salon verkehren, etabliert. Von vornherein wusste jeder sofort, welche Friseurin damit gemeint war.

„Ja bitte!“ Die Stimme der alten Dame klingt trocken und gebieterisch. Sie erinnert mich ein wenig an die Stimme von Denethor, den Trugses von Gondor, aus der Herr der Ringe Verfilmung.

Jetzt ist es aber gut, rufe ich mich zur Ordnung. Scheinbar habe ich heute echt einen Lauf. Es ist kein guter Tag, um Karmapunkte zu sammeln.

Während die Alte auf Ihre Rechnung und das Taxi wartet, führt mich der Salon-Troll mit seinem debilen Dauergrinsen zu einem freien Frisierstuhl in der Ecke des vorderen Salonbereichs. „Die Kollegin kommt gleich.“

Ich bedanke mich höflich und setze mich, während ich weiterhin auf meine Friseurin warte. Im Spiegel vor mir kann ich die blinde Dame hinter mir gut beobachten. Das ist normalerweise gar nicht meine Art. Ich mag es überhaupt nicht, wenn andere das Gefühl haben, ich würde sie beobachten. Aber die blinde Dame wird es ja nicht bemerken und außer uns beiden ist zur Zeit niemand im Raum.

Ihr leerer Blick wirkt verloren, wandert starr, mal hierhin und mal dorthin. Vermutlich wendet sie sich den unterschiedlichen Geräuschquellen zu, die aus den beiden Nachbarzimmern des Salons kommen. Was sie wohl alles wahrnehmen mag?

Junge, jetzt glotz doch die Alte nicht so an, rufe ich mich erneut zur Ordnung. Ich schaue aus dem Fenster, ertappe mich aber immer wieder bei flüchtigen Blicken, die ich zu der Blinden herüberwerfe. Ihr Anblick ist einfach zu bizarr. Ob ihr bewusst ist, dass sie ihre Augen die ganze Zeit über geöffnet hat? Solange ich sie beobachte, hat sie nicht einmal geblinzelt. Unheimlich!

„Frau Adenberg, ich habe hier Ihre Rechnung!“ Der Salon-Troll ist wieder da und schreitet breit grinsend, mit der Rechnung in der Hand, auf die Frau zu. „Das macht dann einmal neunundneunzig Euro“. Offenbar hält sie die Blinde auch noch für taub. Anders kann ich mir die Lautstärke ihrer krächzenden Stimme nicht erklären.

Zielsicher greift die Blinde in Ihre Hosentasche und zückt ein kleines, schwarzes Portemonnaie, das mit einer silbernen Kette an Ihrem Hosenbund befestigt ist. Als sie zwei Scheine daraus entnimmt und mit ausgestrecktem Arm in den Raum hält, sagt sie selbstbewusst: „Das stimmt so!“ Dabei peitschen die Worte der Alten dem Salon-Troll dermaßen um die Ohren, dass dieser unwillkürlich kurz zusammenzuckt und sogar für einen Augenblick vergisst, breit zu grinsen.

Die Selbstverständlichkeit und Überzeugung, mit der die alte Dame agiert, lässt mich jedoch nachdenklich werden. Der für sie mit Sicherheit nicht einfache Vorgang, selbstständig zum Friseur zu gehen und die Rechnung zu bezahlen, gibt ihr vermutlich Selbstvertrauen und ein gutes Gefühl. Vielleicht sogar ein Gefühl von Normalität oder gar Unabhängigkeit.

Warum ist diese Frau eigentlich nicht normal? Oder besser gesagt, warum halte ICH sie für nicht normal? Nur, weil sie blind ist? Oder wegen ihrer schauerlichen Erscheinung? Ist das nicht diskriminierend? Ich fühle mich angeekelt vor meiner oberflächlichen Denkweise. Das ist wirklich kein guter Tag für Karmapunkte. Es würde mich nicht wundern, wenn ich nach dem Friseurbesuch von einem Lastwagen überrollt würde.

Neugierig und voller Spannung beobachte ich das weitere Geschehen im Spiegel. Wie wird der Troll jetzt reagieren? Die blinde Frau hat ihr gerade einen Fünfziger und einen Hunderter in die Hand gedrückt. Also einen Fünfziger zu viel. War das Absicht? Ein Test? Oder ein Versehen?

Ich wünschte, ich hätte jetzt eine Tüte Popcorn. Unterhaltungsfaktor und Spannung steigen, während weitere Karmapunkte sich wie die Lemminge in ein bodenloses Nichts stürzen, um dort zu Asche zu verbrennen.

„Nein, Frau Adenberg. Das waren jetzt hundertfünfzig Euro, die Sie mir gegeben haben. Sie haben mir einen Hunderter und einen Fünfziger gegeben. Hier.“ Damit drückt sie der Frau den Fünfziger wieder in die Hand. „Den Fünfziger gebe ich Ihnen zurück. Das Wechselgeld für den Hunderter gehe ich holen.“

Sie verlässt die Blinde wieder und geht zur Kasse. Ein wenig beschämt steckt die Blinde den Geldschein zurück ins Portemonnaie und verstaut dieses wieder in Ihrer Hosentasche. Dann setzt sie sich, ganz ohne vorsichtiges Abtasten der Umgebung, zielsicher auf den Stuhl, der sich einen halben Schritt hinter ihr befindet. Ich bewundere ihre räumliche Wahrnehmung.

Genug gestarrt! Ich schaue wieder aus dem Panoramafenster. Draußen laufen gerade zwei junge Frauen vorbei, in kurzen Röcken und mit einem Eis in der Hand. Oooh ja, Baby! Ein Eis werde ich mir auch gleich holen, wenn ich hier fertig bin.

„Hier Frau Adenberg!“ Der Troll ist wieder da und zwingt meinen Blick zurück in den Spiegel. „Einen Euro bekommen Sie noch zurück.“ Ich beobachte das Geschehen und erwarte, wie jedes Mal, wenn ich diese Friseurin sehe, dass das breite Grinsen jeden Augenblick nach hinten überschlägt und sich die Mundwinkel hinter ihrem rothaarigen Kopf berühren.

„Hmm?“ Die Blinde starrt mit leeren Augen an ihr vorbei und schüttelt den Kopf. „Nein, den Rest können Sie behalten.“

Sehr großzügig, denke ich schmunzelnd, während mein Blick wieder zum Fenster schweift. Davon kann sich der Troll ja neue Zahnpasta kaufen.

„Oh, vielen Dank, Frau Adenberg“, bedankt sich der Troll überschwänglich.

Zum vierten Mal an diesem Nachmittag überkommt mich das schlechte Gewissen und ich blicke verschämt zu Boden. Kann man eigentlich Minuspunkte auf seinem Karmakonto haben? Wenn ja, müsste ich in den nächsten Jahren hart daran arbeiten, wieder in den grünen Bereich zu kommen.

Die arme Frau ist wahrscheinlich stolz darauf, dass sie das alles allein geschafft und selbstständig bezahlt hat. Womöglich lebt sie von einer kleinen Behindertenrente und dieser Euro Trinkgeld ist deutlich mehr, als sie normalerweise geben kann. Auf der anderen Seite hat sie aber offenbar genügend Geld, um sich diesen Friseurbesuch leisten zu können.

Mit gemischten Gefühlen richte ich meinen Blick wieder auf den Spiegel zu der alten Frau – und erstarre. Die Blinde hat den Kopf gezielt in meine Richtung gedreht. Ihre zuvor nur ziellos in den Raum gerichteten weißen Augen scheinen mich nun durch den Spiegel hindurch direkt anzustarren. Auf ihrer Stirn kräuselt sich eine tiefe Zornesfalte.

Zwar bin ich mir dessen bewusst, dass dies unmöglich ist, dass sie mich nicht sehen kann, aber es reicht, um mir einen eiskalten Schauer über den Rücken zu jagen. Schlimmer noch. Eine gespenstische Stille macht sich breit. Das gerade noch allgegenwärtige leise Geplapper und Gemurmel anderer Kunden aus den Nachbarräumen, scheint mit einem Mal erstorben zu sein. Ich höre nur noch meinen eigenen schweren Atem und das dumpfe Pochen in meiner Brust. Um mich herum scheint die Zeit still zu stehen.

Ich will wieder aus dem Fenster schauen, aber es gelingt mir nicht, mich von diesem paralysierenden Anblick zu lösen. Mein Gesichtsfeld scheint sich zunehmend einzuengen. Da sind nur noch diese weißen Augen und ich. Mir wird heiß und kalt zugleich. Es ist ein Gefühl, als ob alle Freude und alle positiven Gedanken gleichzeitig aus meinem Körper entwichen sind. Es ist ein Gefühl von tiefer Hoffnungslosigkeit.

Los! Guck wieder woanders hin, flehe ich die Alte in Gedanken an. Doch diesen Gefallen tut sie mir nicht. Gnadenlos durchdringt mich dieser kalte, leere Blick. Um mich herum breitet sich eine unheilvolle Dunkelheit aus, die sich lähmend über meinen Verstand legt. Ich habe Angst, das Bewusstsein zu verlieren.

Ich habe das Gefühl, plötzlich um Jahre zu altern, fühle mich leer und schwach. So, als würde sie mir mit ihrem Blick die Lebensenergie heraussaugen.

Was für Mächte sind hier bloß am Werk? Das kann doch keine Einbildung sein.

„So, das Taxi kommt gleich Frau Adenberg. Sollen wir auch gleich wieder einen neuen Termin für Sie machen?“ Gott sei Dank!! Der Salon-Troll befreit mich aus ihrem Bann. Die ambiente Geräuschkulisse ist wieder da und die Kälte zieht sich aus meinen Gliedern zurück.

„Ja.“ Damit wendet die Alte ihren Blick von mir ab und dreht den Kopf in Richtung Empfangstresen, an dem der Troll raschelnd im Terminkalender blättert. Dabei will es der Blinden offenbar nicht gelingen, die Richtung korrekt einzuschätzen, sodass sie dabei ein ganzes Stück an ihrem Gegenüber vorbei blickt.

Noch immer steht mir kalter Schweiß auf der Stirn.

Während der Salon-Troll einen neuen Termin mit der alten Frau abstimmt, suche ich wieder Ablenkung beim Blick aus dem Fenster. Dann schaue ich wieder auf die Uhr. Der ganze Spuk hat keine drei Minuten gedauert. Wo bleibt eigentlich meine Friseurin? Vermutlich macht sie im hinteren Raum noch sauber, wo sie die Blinde „behandelt“ hat.

Minuten vergehen. Minuten, in denen ich den Blick zur blinden Frau in meinem Spiegel zu meiden versuche.

„Sooo, Frau Adenberg. Ihr Taxi steht vor der Tür.“ Abermals meldet sich der Troll lauthals.

Als ich einen verstohlenen Blick in den Spiegel werfe, sehe ich gerade noch, wie mich die Alte abermals direkt anstarrt. Ihr Gesicht zu einem schiefen Grinsen verzogen.

Verdammt, das ist doch unmöglich! Schießt es mir durch den Kopf. Sie kann mich un-mög-lich sehen. Dann wendet sie den leeren Blick von mir ab und beginnt, auf ihren Stock gestützt, aufzustehen.

„Warten Sie, Frau Adenberg. Ich helfe Ihnen beim Jacke-Anziehen.“ Schon eilt der Troll zur Garderobe und wühlt in den Jacken herum. „Die blaue Jacke hier … ist das Ihre?“ Demonstrativ hebt sie einen blauen Jackenärmel in die Höhe.
In Gedanken schlage ich mir die Hand an die Stirn. Woher soll die blinde Frau das denn wissen, Du Troll?

„Ich weiß nicht, welche Farbe die hat“, bestätigt die Alte peinlich berührt meinen gedanklichen Facepalm. „Ich habe mehrere Jacken zuhause.“

„Oh Entschuldigung!“ Der Troll läuft so rot an, dass Haare und Gesicht zu einer Einheit verschmelzen. „Die Jacke mit dem weichen Pelzkragen? Ist das Ihre?“

„Ja“, gibt die Blinde kurz und trocken zurück. Sie lässt sich in die Jacke helfen und wird vom Salon-Troll noch bis vor die Tür geführt, wo bereits das Taxi steht. Es ist ein dunkelroter Mercedes mit dem typischen Taxischild auf dem Dach. Es scheint einem privaten Taxiunternehmen anzugehören. Die Frau steigt langsam ein. Dann setzt sich das Taxi in Bewegung und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Erleichtert atme ich aus.

***

Endlich kommt meine neue Friseurin und entschuldigt sich für die lange Wartezeit. Zögernd und noch verwirrt von den Ereignissen der letzten Minuten, nehme ich die Entschuldigung an. Es war sicherlich auch für sie nicht alltäglich, eine solche Kundin zu bedienen. Schon wieder ertappe ich mich dabei, über ’normal‘ und ‚unnormal‘ zu richten. Was stimmt nur mit mir nicht?

Noch eine ganze Weile lang gelingt es mir nicht, mich von dieser unheimlichen Begegnung zu lösen. Die Small-Talk-Fragen der Friseurin beantworte ich meist nur kurz und knapp, mit einem monotonen Ja oder Nein. Aber eigentlich bin ich gar nicht bei der Sache. Und eigentlich ist es mir im Moment auch egal.

Wie ein Ghul hatte mich die Alte ausgesaugt. Ich fühle mich erschöpft und ausgelaugt. Wahrscheinlich werde ich das ganze Wochenende durchschlafen.

Als ich fertig bin, bezahle ich und mache mich auf den Weg zu meinem Auto. Ich will jetzt nur noch schnell nach Hause und mich ein wenig hinlegen. Ich fühle mich so müde. Ich steige ein und fahre los. Nach Musik ist mir im Moment nicht mehr zumute, also schalte ich das Radio aus.

Ich nehme die Abkürzung über einen wenig befahrenen Feldweg. Nach einigen Hundert Metern passiere ich ein dunkelrotes Taxi, das mit gesetztem Blinker in einer Ausweichnische am rechten Fahrbahnrand steht. Ein Haus gibt es auf diesem Teil meines Heimweges weit und breit nicht.

Als ich in den Rückspiegel schaue, sehe ich, wie das Taxi losfährt.

Es folgt mir …