Schrödingers Kreuzverhör
Kennt ihr das? Ihr fahrt kurz zum Modellbau-Fachgeschäft, um schnell ein paar Farben zu besorgen. Ein schöner Traum, der nur selten wahr wird aber gar nicht mal so selten im Kreuzverhör der Partnerin endet.
So (oder ähnlich) geschehen vor einiger Zeit:
Wochendende, schlechtes Wetter, Modellbauzeit, Juchuuu! Aber zunächst ging es, wie fast jeden Samstag morgen, gemeinsam mit meiner Frau zum Frühstücken und Einkaufen in die Stadt. Eine Tradition die wir seit Jahren genießen und pflegen. Ist auch schön.
Anschließend, nachdem zuhause alle Einkäufe verstaut waren, begann ich mit der lockeren Planung meiner Modellbauaktivitäten am Wochenende. Nicht, dass ich mich jemals an diese Planung gehalten hätte – aber der Gedanke daran gefiel mir und der gute Wille war es doch schließlich, der zählte.
…und ich mochte die Illusion, einen Plan zu haben.
Während ich so meine kleine Weekend-Modellbau-Vorbereitungs-Inventur durchführte, stellte ich fest, dass mir die weiße Farbe ausgegangen war – schon wieder.
Manchmal fragte ich mich, ob ich das Zeug heimlich soff, konnte mich aber an keinen derartigen Zwischenfall erinnern. Vielleicht beeinträchtigte die Einnahme von lösungsmittelhaltigen Farben ja auch das Kurzzeitgedächtnis…
Nee, dass hätte meine Frau dann sicherlich auch schon längst bemerkt und mir dann und wann Farbreste aus den Mundwinkeln gewischt.
Okay, Spaß beiseite.
Ich kaufte immer gleich drei Döschen weißer Farbe, weil ich es häufig zum Mischen/Aufhellen anderer Farben verwendete. Aber die Geschwindigkeit, mit der sich der Inhalt speziell dieser Farbe entleerte, war mir schon fast unheimlich.
Aber es half ja alles nichts. Ich fühlte mich ‚gezwungen‘, zum Modellbaufachgeschäft meines Vertrauens zu fahren, um neue Farben zu besorgen („YESSS!“). Und wenn ich schon mal da war, konnte ich ja gleich noch ein wenig gucken, was es so Neues an Modellen gab.
Gucken kostet doch nix – ein weit verbreiteter Irrtum!
Gesagt – getan. Ich verabschiedete mich am frühen Nachmittag von meiner lieben Frau und sie rief mir noch wohlwollend hinterher: „Viel Spaß und kauf dir was Schönes.“
Hach, ich liebe sie einfach.
„Nee nee, ich brauch nur Farbe!“, rief ich mit heroisch geschwellter Brust zurück und machte mich beschwingt und voller Vorfreude auf den Weg.
War das jetzt schon Selbstbetrug oder einfach nur Naivität? Nein, es war ein guter Vorsatz, den ich (wie jedes Mal vor dem Besuch im Modellbaugeschäft) gefasst hatte.
Ihr Nachruf „Kauf dir was Schönes“ hatte sich allerdings inzwischen unbemerkt an meiner Großhirnrinde festgesetzt und schlürfte dort gemütlich Kaffee, um sich ein wenig später, im richtigen Moment, lauthals schreiend in mein Bewusstsein zu drängen.
Dieser ‚richtige Moment‘ begann mit dem Betreten des Modellbauladens…
* * * * *
Zwei Stunden später – mit dem Gefühl eines leichten Filmrisses – kam ich wieder nach Hause. Meine Einkäufe (richtig gelesen Plural – wer hätte das gedacht?) hatte ich blickdicht in eine Leinentasche gepackt.
Immer noch der zarte Versuch des Selbstbetruges: Ich hatte mir vorgenommen, nur die benötigte Farbe zu kaufen. Solange ich nicht sah, was sich sonst noch in der Tasche befand, konnte ich doch wohl davon ausgehen, dass ich auch wirklich nur diese Farbe gekauft hatte…
Ich nenne dieses Phänomen ‚Schrödingers Kaufrausch’*.
Meine Frau wusste es natürlich von vorn herein besser. Und so empfing sie mich lächelnd und fragte: „Und, hast du was schönes gefunden?“
[Atze Schröder-Modus an] – ‚Ja klaaaar, Baby! Du weißt doch, wo der Frosch die Locken hat. Was für eine Frage! Immerhin hast du doch gesagt, ich solle mir was Schönes kaufen. Und wer bin ich, als dass ich deine unendliche Weisheit und deine Wünsche infrage stelle…‘, dachte ich so bei mir.
Die Realität sah etwas anders aus:
„Ähm… Joaaa…“, druckste ich herum. „So ein… zwei Modelle.“
Verdammt! Ich hätte mir meine Antwort vorher besser überlegen sollen. Warum hatte ich eigentlich in dieser Hinsicht so ein Problem damit, mir meine Schwächen einzugestehen?
„Was jetzt? Eins oder zwei?“ Die Frage musste ja kommen. Ein wissendes Grinsen umspielte Ihre Mundwinkel. Man konnte dieser Frau einfach nichts vormachen. Cool bleiben!
„Zwei Modelle – einen Flieger und ein Schiff.“
Jetzt galt es, die ultimative Begründung zu finden, warum ich diese beiden Modellbausätze unbedingt kaufen und besitzen musste.
„Sind genau meine Maßstäbe und waren beide im Angebot.“
Das Maßstabs-Argument war eher schwach, doch der ‚Angebots-Joker‘ funktionierte fast immer und riss es wieder heraus. Aber das reichte mir noch nicht. Also legte ich nach:
„Außerdem wollte ich das Schiff schon lange haben, das ist aus dem zweiten Weltkrieg und hochdetailliert und nur noch schwer zu bekommen.“
Okay, das war jetzt etwas zu dick aufgetragen.
„Und die Farben! Ich hab die Farben gekauft!“, setzte ich freudestrahlend als Trumpf hinterher, wobei ich gezielt ein Farbdöschen aus der Tasche zückte und damit vor ihrer Nase herumwedelte. Immerhin sollte sie wissen, dass ich den wahren Grund für meine Exkursion nicht vergessen hatte…
Jetzt war ich ein Held!
„Und? Was hast du für die Modelle bezahlt?“ Die Mutter aller Fragen. Der Angebots-Joker verrichtete seine Arbeit, mein imaginäres Heldenbild zerbröckelte… Vorsicht!
Jetzt saß ich in der Falle!
„Hm??“, fragte ich – geistige Abwesenheit simulierend. Jetzt galt es, Zeit zu schinden, um nachzudenken. Irgendwas in mir sträubte sich energisch dagegen, ihr den tatsächlich gezahlten Preis zu nennen. Ich sollte allerdings auch nicht zu niedrig einsteigen. Ich hatte meine Frau ja schließlich nicht nur wegen ihres guten Aussehens geheiratet. Vielleicht würde ich ja auch ohne eine Antwort davon kommen…
Jetzt schöpfte ich wieder Hoffnung!
„Wie teuer die Modelle waren, hab ich gefragt.“ War ja klar. Ich sollte meine Frau nach über 17 Jahren doch eigentlich besser kennen…
Jetzt war ich im Arsch!
„Ääääh… So 10… 15 Euro“, kam es mir ohne großartige Überlegung über die Lippen. Mist! Zu wenig! Das kaufte ich mir ja selbst nicht ab.
„Was denn jetzt? 10 oder 15 Euro? Einzeln oder zusammen?“ Sie kannte mich besser. Jetzt hatte sie mich im Würgegriff und nagelte mich an die Wand. Leugnen war an diesem Punkt zwecklos und würde die Konversation nur noch in eine falsche Richtung lenken.
Apropos ‚lenken‘ – ich hatte noch meine Schuhe an. Sollte ich einfach zur Tür raus und die Flucht ergreifen?
Ach quatsch. Immerhin stand sie voll und ganz hinter mir und meinem Hobby. Also hatte sie in der Preisfrage auch ein gewisses Maß an Wahrheit verdient. Ich müsste mich nur langsam herantasten…
„Das Flugzeug 19,95 Euro und das Schiff 34,95 Euro“, sprudelte es, mit einer in dieser Situation unangebrachten Spur von Stolz, aus mir heraus.
Huch! Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Scheiße! Die Zunge war wieder schneller, als das Hirn.
„Und Farben! Die Farben hab ich auch gekauft…“, schoss es unkontrolliert hinterher. Verdammt, wer redete denn da mit meiner Stimme??
Oh Gott, war das jämmerlich. Als versuchte ich zu retten, was noch zu retten war… Dabei gab es bisher noch nicht einmal eine Anklage.
„Hä?? Ich dachte 10 oder 15 Euro?“ Sie schien sichtlich irritiert. Wer konnte es ihr verdenken?
„Hab mich vertan…“ Toooor! Nee, Eigentor! Irgendwann würde sie mich für unzurechnungsfähig erklären lassen und alle meine Modelle verkaufen. Wahrscheinlich zu dem Preis, zu dem ich sie angeblich einmal erstanden hatte. NEEEEIIIIIN!!!
‚Junge, werd wach!‘ Mist! Ich war ja wach…
„Äääähm, ich meinte, ich hab die Frage falsch verstanden…?“ *Facepalm*
Super Versuch, die Situation zu retten! Modelle adieu – Klappse, ich komme!
„Aha…“ Ohje, da war sie, die Anklage.
Diese drei Buchstaben, in dieser Betonung, hatten vermutlich international und bei allen Frauen der Welt, dieselbe Bedeutung. Und was noch viel Schlimmer war: Sie hatten vermutlich überall dasselbe bleierne Gewicht, das einen erbarmungslos nach unten zog.
Und dieses ‚Aha‘ kam ihr jetzt nicht etwa über die Lippen, weil die Modelle zu teuer gewesen wären. Es kam vielmehr, weil ich sie im ersten Anlauf beflunkert hatte und nun wie ein Idiot vor mich hin stammelte. Dabei war es doch gar keine böse Absicht von mir gewesen…
Die Option mit der Flucht erschien mir plötzlich wieder attraktiver. Ich blickte abwechselnd zur Tür und zu meiner Frau. Ein kurzer Blick zum Fenster. Man sollte sich alle Möglichkeiten offen halten. Nein verdammt, zu hoch. Also doch besser die Tür.
Plötzlich brach sie in schallendes Gelächter aus. Ich erstarrte, der Fluchtgedanke erstarb schlagartig. Mit weit aufgerissenen Augen, die hin und wieder klimperten, sah ich meine Frau ratlos an, die sich nicht mehr einkriegte.
War das jetzt so lustig?
Ich ließ die Situation schnell Revue passieren und kam zu dem Schluss: Auf jeden Fall.
„Ich weiß schon, warum ich dich so liebe – du Verrückter!“ Sie kam auf mich zu und schmiegte sich an mich. Zögernd, noch immer mit einer Falle rechnend, legte ich meine Arme um sie und flüsterte ein wenig verlegen aber grinsend: „Ich dich auch. Tschuldigung.“
„So und jetzt zeig mal, was du dir Tolles geholt hast.“
Der Tag war gerettet :-)
– Jan Melcher –
* siehe Schrödingers Katze – in diesem Fall kann meine Leinentasche nach einem (Modell-)Kaufrausch sowohl leer als auch voll sein. So lange, bis ich hineinschaue und mich über den Inhalt vergewissere.